1. Ein illusionsloser und nüchterner Blick auf unsere Gegenwart löst oft Ängste und Sorgen aus. Ökologische Gefährdungen, nicht endende Kriege und Gewaltexzesse an vielen Orten der Erde, steigender Reichtum bei den Wenigen und zunehmende Armut bei den Vielen, schwächelnde Demokratien und erstarkende Autokraten, globale Flucht- und Migrationsbewegungen, Orientierungslosigkeit und ein sich ausbreitendes Ohnmachtsgefühl lassen das Wort von der „Zeitenwende“ plausibel erscheinen.
2. Eine solche Zeitenwende ist eine Zeit der Entscheidung. „Krise“, heute als ein permanentes Phänomen, als „Dauerkrise“ wahrgenommen, bedeutet eigentlich den Punkt der Entscheidung. Die Entscheidung, die uns heute abverlangt wird, ist die Umkehr. Umkehr oder Metanoia hat mit dem Denken zu tun. Nur wer umdenkt, das mögliche Andere denkt, kann wirklich umkehren. Ein „weiter so“ mit kleinen Korrekturen wird der vor uns liegenden Herausforderung der Entscheidung nicht gerecht, sondern erlaubt, wenn überhaupt, gerade noch ein Weiterbestehen in der „Dauerkrise“.
3. Der Ruf in Markus 1,15: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe gekommen; kehrt um und glaubt an das Evangelium“ ergeht deshalb auch in aller Deutlichkeit an uns heute. Papst Franziskus mahnte immer wieder eindringlich eine ökologische Umkehr an, ebenso eine innere Umkehr der Herzen. Ausdruck einer solchen Umkehr ist ein neuer Lebensstil, der von Bescheidenheit, Mäßigung von Produktion und Konsum, Gastfreundschaft und der Suche nach Gerechtigkeit geprägt ist. Papst Leo XIV. knüpft daran an, wenn er sagt, dass sich Glaube, Hoffnung und Liebe in eine große kulturelle Umkehr übersetzen sollen.
4. Das in den Modernisierungsschüben des 20. Jahrhunderts bestimmend gewordene technische und ökonomische Denken hat sich zu einem technogenen System verfestigt. Wachstum um jeden Preis, Beschleunigung, Ökonomisierung aller Lebensbereiche sind dessen Signatur. Als Gegenentwurf bietet sich eine konviviale Gesellschaft an, die sich durch die Anerkennung von Grenzen, Kooperation und gegenseitige Unterstützung sowie durch Offenheit gegenüber dem Anderen auszeichnet. Eine konviviale Gesellschaft bietet die Grundlage für ein gutes Leben für alle. Politische Bestrebungen für eine konviviale Gesellschaft sind eine konkrete Form der heute notwendigen Umkehr.
5. Prophetische Stimmen haben zu allen Zeiten Menschen zur Umkehr gerufen. Prophetische Stimmen gibt es auch heute, nicht immer laut und oft vom medialen Rauschen übertönt. Offenheit, Bereitschaft zum Hören, Urteilskraft und die Fähigkeit der Unterscheidung sind unabdingbare Voraussetzungen dafür, dass prophetische Stimmen nicht ins Leere gehen, sondern wirkliche Orientierung schenken können.
6. Umkehr, Metanoia, Auszug aus den gewohnten und bequemen Strukturen und Sicherheiten erfordern Mut und Kraft zum Handeln. Christliche Spiritualität bietet einen tragfähigen Boden dafür. Die Spiritualität der Ordensgemeinschaften, das Lebenszeugnis herausragender Glaubenszeugen, die Glaubenserfahrung in christlichen Gemeinschaften und auch eine gelebte Alltagsfrömmigkeit sind Wegweiser für die Richtung des Umkehrens und Nahrung für die Wegstrecke.
7. Die Kirche hat in ihrer langen Tradition eine Form und Praxis des Weltbezugs entwickelt, die sich von der gegenwärtigen ökonomisch durchdrungenen gesellschaftlichen Realität unterscheidet. Sie wirkt im weltlichen Diskurs zunehmend ohnmächtig. Als Kirche ohne Macht bringt sie sich in die Geflechte der säkularen Welt, der Welt der Ökonomie, der Technik, der Politik ein, ohne Berührungsängste, jedoch ohne sich als ein Teil der Planungen, Strategien und Lösungen vereinnahmen zu lassen. Im Gegenteil: Sie bringt eine andere Erzählung ein, nämlich die des Evangeliums. Sie bietet Raum für Erprobungen und Erfahrungen der Umkehr, für Einzelne und für Gemeinschaften, auch für sich selbst.





